Geschichte des Hochleistungssirene

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und Auflösung aller bisherigen Luftschutzorganisationen durch den alliierten Kontrollrat klafft in Deutschland eine große Lücke im Bereich des Schutz der Bevölkerung vor Gefahren und Schäden. Erst nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland kann man sich mit Zustimmung der Alliierten um den Aufbau entsprechender Strukturen und Organisationen kümmern. Bereits 1950 wird das THW als Katastrophenschutzorganisation des Bundes gegründert. 1953 folgt der Beschluss zum Aufbau einer Bundesanstalt für zivilen Luftschutz. Dies legt den Grundstein für die Entwicklung einer pneumatischen Hochleistungssirene.

1957

Das Jahr 1957

Durch Erlass wird am 6. Juli 1957 in Bad Godesberg die Bundesdienststelle für zivilen Bevölkerungsschutz errichtet, eine Vorgängerin des Bundesamtes für Zivilschutz. Am 9. Oktober 1957 tritt das "Erste Gesetz über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung (1. ZBG)" in Kraft, in dem auch der Aufbau eines Luftschutz Warn- und Alarmdienstes, sowie die Schaffung der Warnämter beschrieben wird.

Noch im gleichen Jahr folgt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Errichtung eines Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz (BzB). Dieses Gesetz tritt am 5. Dezember 1958 in Kraft.

1958

Das Jahr 1958

Zur Entwicklung eines möglichst netzunabhängigen Alarmmittel im Zivil- und Katastropenschutz wird das Institut für Phonetik und Kommunikationsforschung der Universität Bonn beauftragt, die Eignung von verschiedenen Schallerzeugungsverfahren unter technischen und psychologischen Aspekten zu erforschen.

Im April wird als Ergebnis vorgestellt, dass eine mit Pressluft betriebene Sirene das optimale Warnmittel darstellen könnte. Man erteilt anschließend der PINTSCH BAMAG AG im hessischen Butzbach den Auftrag anhand der gemachten Studien einige Prototypen zu entwickeln. Hier soll speziell ein Luftverteiler (Schallgeber) entwickelt werden. Der Auftrag erhält von der PINTSCH BAMAG AG die Auftragsnummer 50697. Nachdem erste vielversprechende Versionen des Luftverteilers entwickelt sind, beauftragt die Bundesdienststelle für zivilen Bevölkerungsschutz am 29. August 1958 die Entwicklung eines kompletten Konzeptes für eine Pressluftsirene.

1959

Das Jahr 1959

In Butzbach werden umfangreiche Tests mit den HLS Prototypen durchgeführt. Zwischen 12. und 16. Januar werden Messungen zum Verhältnis mechanischer Leistung und Schallstärke durchgeführt. Dabei werden insgesamt 87 komplexe Testläufe mit unterschiedlichen Luftverteilern durchgeführt, bei denen Lochgröße und -anzahl, sowie weitere Parameter variierten. Die optimale Ausführung des Luftverteilern soll damit bestimmt werden.

Am 13. März werden Messungen zur Schallausbreitung in Stadt und Umgebung Butzbach durchgeführt. Für die Tests im Stadtbereich wird ein Sirenenkopf der Pressluftsirene auf dem Butzbacher Hexenturm installiert. Bereits zwei Tage vorher werden die Bürger über einen Zeitungsartikel auf die Tests hingewiesen. Damit keine Verwechslung mit dem Feueralarm passieren kann, wird vor jedem 30sek dauernden Testlauf die Sirene einmal kurz aufheulen lassen.

Weiter werden auch Tests vom PINTSCH BAMAG Werksgelände aus durchgeführt. Dort ist nur wenige Meter neben der Hochleistungssirene auch eine Motorsirene E57 auf einem Strommast montiert. Mit beiden Sirenen werden am 13. März ebenfalls Vergleichsmessungen durchgeführt.

Geplante Klimatests mit dem Prototypen sollten eigentlich auf dem Hohen Peissenberg durchgeführt werden. Da dort aber zu dieser Jahreszeit nicht mehr mit Wintereinbrüchen und passenden Temparaturen zu rechnen war, wurde der Klimatest im Zeitraum 25. April - 15. Juni auf der Zugspitze durchgeführt. Die Bayrische Zugspitzbahn stimmte zu, den Test neben einer Terasse des damaligen Hotels Schneefernerhaus in 2650 Meter Höhe durchzuführen. Insgesamt 54 Testläufe wurden durchgeführt und dabei jeweils die Stromstärke des Motors gemessen. Bei Temparaturen zwischen -9°C und +4°C bei unterschiedlichen Wetterbedingungen zeigte der Schallgeber keinerlei Ausfallerscheinungen.

Ende Juli werden an drei Tagen weitere Klimatests in der Klimakammer der Klöckner-Humboldt-Deutz AG in Köln durchgeführt. Der Prototyp wird dabei bei bis zu -30°C betrieben. Auch bei diesem Test zeigte sich, dass weder Motor, noch Luftverteiler durch die Kälte beeinflusst werden. Lediglich ein Magnetventil der Fa. Herion versagte bei diesen Temparaturen.

1960

Das Jahr 1960

Die PINTSCH BAMAG Anlage 1 erreicht Serienreife. Insgesamt werden bis Ende des Jahres zehn Anlagen als so genannte "Null-Serie" bzw. Musteranlagen hergestellt und bis Ende 1961 in Deutschland aufgestellt. Tests unter realen Bedingungen sollen die Preßluft-Sirene auf deren Verwendung im Alarmdienst hin prüfen. Bisher bekannte Standorte sind Garching, Ottobrunn, Gießen (2x), Neheim, Meschede, Arnsberg und Butzbach. Die restlichen zwei Standorte konnten noch nicht identifiziert werden.

Nach Auswertung der Erprobung und der generellen Freigabe der HLS als Warnmittel des Bundes, wurde ab 1962 mit dem großflächigen Aufbau der Preßluft-Sirenen begonnen.

1961

Das Jahr 1961

Drei Anlagen der Null-Serie mit Baujahr 1960 werden in Meschede, Ense und Arnsberg errichtet. Alle drei dienen der Warnung vor einem Bruch der Staumauern der naheliegenden Stauseen.

Während des Internationalen Kongresses für zivilen Bevölkerungsschutz rund um den 12. Oktober im schweizer Montreux, wird im Beisein von vielen Delegierten aus verschiedene Ländern die Warnwirkung der Anlage 1 vorgeführt. Die Pressluftsirene steht dabei rund 10km vom Kongressgelände entfernt und wird dort trotzdem noch mit einer Lautstärke von 64dB gemessen.

1963

Das Jahr 1963

In Wiesbaden werden nach den beiden Musteranlagen in Gießen die ersten drei "regulären" Hochleistungssirenen in Hessen aufgestellt. Weitere Standorte in Frankfurt und Offenbach sollen bald folgen. Der Aufbau aller PINTSCH BAMAG Standorte in Hessen wird durch die Hörmann GmbH durchgeführt, die als Subunternehmer nun ins Sirenengeschäft einsteigt. Auch viele weitere Standorte von PINTSCH BAMAG Anlagen werden in den kommenden Jahren durch Hörmann aufgestellt.

Ende Januar schick die PINTSCH BAMAG AG einen Abschlussbericht zur Entwicklung einer Pressluftsirene an das Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz nach Bonn. Erstaunlich ist, dass bereits Ende 1962 Teile des Konzepts der erst 1964 in Dienst gestellten Anlage 2 vorhanden zu sein scheinen, da sich im Lager in Butzbach bereits der Prototyp eines Drucklufttank als Rohrturm befindet.

Am 27. Februar findet der erste bundesweite Sirenenprobealarm statt, welcher aus den fertig gestellten Warnämtern heraus ausgelöst wird. Hier sind auch die ersten HLS beteiligt.

Im Mai und Juni findet in Genf die "V. Internationale Konferenz für Zivilverteidigung" statt. Hier hält ein Vertreter von PINTSCH BAMAG einen Vortrag zu Entwurf und Montage von Preßluftsirenen.

1965

Das Jahr 1965

Am 13. August erscheint im Magazin "Die Zeit", Heft Nr. 33 ein Artikel über die PINTSCH BAMAG AG mit dem Titel "Käufer gesucht". Dort wird ausführlich berichtet, dass es bei der PINTSCH BAMAG AG erhebliche Probleme gibt. Ein Großaktionär soll das Unternehmen stabilisieren, die Anteilseigner verkomplizieren dieses Vorhaben aber. Man suche bereits seit eineinhalb Jahren nach einem finanzkräftigen neuen Partner. 1967 wird die PINTSCH BAMAG dann von Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza mehrheitlich übernommen.

Ebenfalls 1965 werden die ersten Modelle der PINTSCH BAMAG Anlage 2 gebaut. Neu ist hier der im Rohrturm untergebrachte Drucklufttank und der damit deutlich verkleinerte Maschinenbunker.

Das BzB ist Mitte der 1960er Jahre augenscheinlich auf der Suche nach einem neuen Lieferanten für Hochleistungssirenen. Ob dies mit den Problemen bei PINTSCH BAMAG zusammenhängt ist noch unklar.

Die Rickmers Werft aus Bremerhaven, eigentlich ein klassischer Schiffsbauer, entwickelt bis Dezember 1965 eine eigene HLS in Anlehnung an die PINTSCH BAMAG Anlagen. Eine flaute in der Auftragslage zwingt die Rickmers Werft zur Geldbeschaffung, die wohl in Ausicht stehende Rolle als Lieferant für das BzB könnte die Rettung sein. Schlussendlich liefert man fünf Anlagen an das BzB, die allerdings Aussagen zufolge nicht funktionsfähig bzw. unvollständig sind. Danach verschwindet die Rickmers-Werft wieder von der Bildfläche. Weitere Hintergründe sind leider nicht bekannt.

1966

Das Jahr 1966

Auch die Hörmann GmbH, bisher lediglich mit der Montage von HLS betraut, bewirbt sich auf die Rolle des Lieferanten für das BzB. Die genauen Abläufe und Hintergründe sind bisher noch unbekannt, aber augenscheinlich kann Hörmann größere Lagerbestände von PINTSCH BAMAG übernehmen. Im bayrischen Ruhpolding wird ein Prototyp einer weiterentwickelten HLS aufgestellt, welche in der ersten Version aus dem Sirenenkopf der Anlage 2 auf einem Gittermast, sowie einer Mischung aus weiteren PINTSCH BAMAG Teilen und neu entwickelten Teilen besteht. Ein Werbeprospekt dieser Anlage legt nahe, dass man diese schon aktiv vermarkten wollte.

PINTSCH BAMAG produziert offensichtlich ab 1966 keine Anlage 2 mehr, zumindest wurden noch keine Anlagen mit diesem Baujahr entdeckt. Die Hörmann GmbH wird tatsächlich der Nachfolger als Lieferant für Hocheistungssirenen.

1967

Das Jahr 1967

Die im Landkreis Pfarrkirchen bereits 1963 begonnenen Planungen zur Aufstellung von HLS durch PINTSCH BAMAG werden durch Hörmann fortgeführt. In Wittibreut wird die erste Serien-HLS von Hörmann aufgestellt, welche eine konsequente Weiterentwicklung der Anlage 2 ist. Der neue Sirenenkopf nutzt allerdings immer noch die Exponentialtrichter und den Schallgeber von PINTSCH BAMAG. Auch im Maschinenbunker werkelt der gleiche Typ Kompressor wir bei der Anlage 2.

Insgesamt elf Anlagen des als "F71" bekannten Typs werden im Landkreis Pfarrkirchen errichtet. Die Anlage in Tann-Eichornseck dient Hörmann dann sogar als Fotomodell für den Werbeprospekt der Hochleistungssirene.

1975

Das Jahr 1975

Nachdem in den letzten acht Jahren fast 300 Anlagen des Typs F71 in Deutschland und dem Ausland installiert wurden, bringt Hörmann mit der HLS 273 eine neue Modellreihe auf den Markt. Auffälligste Änderung ist der komplett neu konstruierte und deutlich kleinere Sirenenkopf. Ebenso lassen sich die HLS 273 nun wahlweise auf Rohrmasten installieren, was die Aufstellung insg. noch weiter vereinfacht.

Neben der für den deutschen Warndienst gedachten HLS 273 stehen nun auch weitere Varianten für das Ausland und die Industrie zur Verfügung. Zusammen mit einer ebenfalls neu entwickelten Steuerung und Fernauslösung etabliert sich Hörmann damit zu einem Komplettanbieter für moderne Sirenenwarnnetze.

1981

Das Jahr 1981

Ein weiteres Mal wird die Hörmann-HLS modernisiert und wird nun zumindest intern unter der Bezeichnung "HLS 381" geführt. Neben einigen Detailverbesserungen kommt nun ein Dieselmotor von Hatz zum Einsatz. Außerdem stehen für die Mastvariante nun nur noch Achteckmaste in den bekannten Höhen zur Verfügung.

Mit der HLS 381 in Marktredwitz wird 1986 die letzte uns bekannte Hochleistungssirene in Deutschland aufgestellt. Warum danach keine weiteren HLS aufgestellt wurden ist aktuell nicht bekannt.

1988

Das Jahr 1988

Das Bundesamt für Zivilschutz hält im Warnamt V in Linnich eine Konferenz zur Zukunft des "Mess- und Warnnetzes" ab. Aus Bildern geht hervor, dass die HÖRMANN GmbH hier die HLS 573 und die ECL als mögliche Nachfolgemodelle präsentiert.

1989

Das Jahr 1989

Auch bei einem Tag der offenen Tür im Warnamt II in Bassum werden die neuen Hörmann Hochleistungssirenen ausgestellt.

Aus Bayern liegen Dokumente vor, die eine detailierte Neuplanung des Warnnetzes belegen. Auf Grund der geänderten Anforderungen (Siedlungsgebiete, Gefahrenschwerpunkte) werden hunderte neue Sirenenstandorte geplant. Zum Einsatz kommen sollen hier nach wie vor HLS und neue elektronische Sirenen. Auf Grund der Konferenz in Linnich ist davon auszugehen, dass man ab 1990 dann HLS vom Typ HLS 573, sowie die ECL der HÖRMANN GmbH für den Zivilschutz aufgebaut hätte.

1992

Das Jahr 1992

Nach dem Ende des Kalten Krieges beschloss die Bundesregierung den Warn- und Alarmdienst aufzulösen. Alle Standleitungen wurden gekündigt und die Warnämter nahmen ab nun hauptsächlich Aufgaben der Strahlenschutzvorsorge wahr. Das Sirenennetz wurde schlagartig stillgelegt und die Standorte noch im gleichen Jahr den Kommunen zur Übernahme angeboten.

Bereits ein Jahr später war ein Großteil des damaligen Sirenennetzes abgewickelt und entweder den Kommunen übergeben worden, oder zur Demontage durch das Bundesamt für Zivilschutz vorgemerkt. Neben einigen zehntausend Motorsirenen war so auch das Ende der meisten der 500 HLS Standorte besiegelt. Lediglich wenige HLS wurden von den Kommunen übernommen oder konnten zur anderweitigen Verwendung an Dritte verkauft werden.

1998

Das Jahr 1998

Die bundesweite Demontage der Hochleistungssirenen konnte 1998 endgültig als abgeschlossen betrachtet werden. Einige der übernommenen Anlagen sind heute noch im Einsatz (z.B. in Darmstadt, Kassel, Köln, Nußdorf), werden aber auch hier nach und nach durch elektronische Sirenen ersetzt.

2004

Das Jahr 2004

Durch Andreas Birner und Lutz Leininger wird die Webseite www.hochleistungssirene.de ins Leben gerufen. Beide stecken Unmengen an Zeit und Geduld in Recherchen zu den ehemaligen Standorten und zur Technik. Bis dato hatte sich in ganz Deutschland noch niemand mit diesem historischen Thema beschäftigt.

In den folgenden Jahren wächst die Datenbank der Webseite kontinuierlich an und weitere Mitstreiter befassen sich mit dem Thema. Bald wird mit der Interessengemeinschaft Warndienst und Sirenen (IG-WaSi) eine offizielle Community gegründet, in der sich Gleichgesinnte auch zum Thema Hochleistungssirenen austauschen können.

Dank der Grundlagenarbeit von Abi und Lutz finden Hochleistungssirenen nun auch in Wikipedia und diversen Fachzeitschriften Erwähnung.

2020

Das Jahr 2020

16 Jahre später hat das Thema Hochleistungssirenen immer noch nichts von seinem Reiz verloren. Noch immer gibt es kaum erkundete Standorte in Deutschland, jede Menge unbekannte Standorte im Ausland und offene Fragen zur Technik und Geschichte. Zudem konnten in der Zwischenzeit unzählige Kontakte zu offiziellen Stellen geknüpft werden und bei der Wartung der noch funktionierenden Anlagen in Kassel, Darmstadt und Nußdorf mit Rat und Tat unterstützt werden.

Da sich Abi und Lutz aus privaten und beruflichen Gründen in die zweite Reihe verabschiedet haben, wird die Recherche und Pflege der Datenbank mittlerweile federführend von Joachim Schmidt und Mario Kaiser voran getrieben. Auch technisch hat sich natürlich einiges getan. So steht nun eine zentrale Cloud für Bilder und Unterlagen zur Verfügung, die ursprüngliche Datenbank ist einem komfortablen Administrationsbereich gewichen und zu guter Letzt konnte am 01. Mai 2020 eine komplett neue und moderne Webseite online gestellt werden.

Heute